Die Berichte stellen persönliche Meinungen der Verfassenden, nicht die der Al-Anon Familiengruppen dar.

Als ein Arzt bei meiner Tochter Alkoholismus diagnostizierte, sagte er, es würde ein langer Weg sein. Ich hatte ihren Vater wegen alkoholbedingter Gewalt in der Familie verlassen, als sie noch sehr jung war. Ich hatte versucht, ihr zu helfen und sie zu unterstützen, indem ich ihr aus finanziellen Problemen half und mich um ihren kleinen Sohn kümmerte. Ich war erschöpft, hatte zwei Jobs und versuchte verzweifelt, meine wunderschöne Tochter zu retten. Ich wusste nicht, dass ich, als ich die Verantwortung dafür übernahm, sie nüchtern zu machen, ihr die Chance nahm, ihre eigenen Probleme zu lösen.

Schon früh in meinem Al-Anon Programm erkannte ich, dass übermäßige Verantwortung einer meiner Hauptfehler war. Dank dem, was ich in Al-Anon gelernt habe, einschließlich Konzept Acht, in dem es um das Delegieren von Autorität geht, überwinde ich meinen Drang, alles zu kontrollieren und zu „helfen“. Ich habe erkannt, dass ich keine Autorität über andere habe, auch nicht über meine Tochter. Meinen Drang zu übernehmen loszulassen und mich auf meinen Teil zu konzentrieren, hat mir sowohl in den Familienbeziehungen als auch beim Dienst in Al-Anon geholfen.

Jeden Morgen auf meinem langen Genesungsweg greife ich zu den täglichen Al-Anon Büchern*. Wenn ich mein Handy an das Solarladegerät anschließe und die E-Books auf meinem Bildschirm öffne, vertieft sich die Weisheit in dieser wertvollen, Konferenz gerpüften Literatur. Liebe ersetzt die Angst. Ich gebe mich meiner Höheren Macht hin und spüre, wie die warme Sonne mich (und mein Handy) wieder auflädt. Ein Kribbeln der Freude erinnert mich daran, mich auf meine Prioritäten zu konzentrieren und Sorgen und den Drang zur Kontrolle durch Vertrauen in andere und meine Höhere Macht zu ersetzen.

Von Jennifer W., Australien

 

Das Forum, April 2023

* Deutsche Übersetzungen sind nicht als E-Bücher erhältlich: Ein Tag nach dem Anderen; Mut zur Veränderung; Hoffnung für Heute

Melanie Erwachsenes Kind einer alkoholkranken Familie, ich bin in einer nach außen hin leistungsorientierten und angepassten Familie aufgewachsen. Mein Vater war Spiegeltrinker, Alkohol gehörte zu seinem Leben wie seine Arbeit. Meine Mutter stammt aus einer Familie in der Arbeit und eine märtyrerhafte Lebenseinstellung einen hohen Wert darstellten. Auftretende Probleme wurden nicht gelöst. Es wurde ein/e Schuldige/r gesucht, diese Person wurde dann beschämt und mit Liebesentzug bestraft.

 

Diese Verhaltensweisen meiner Eltern und älteren Geschwister machten mir Angst und gleichzeitig hatte ich selbst auch keine Alternative. Wenn ich mich an Erlebnisse meiner Kindheit erinnere, gibt es auch schöne Erlebnisse in der Natur und im Beobachten der Menschen. Ein anderer Teil von mir war sehr verunsichert und ängstlich und oft wünschte ich mir nach sehr beschämenden Situationen einfach im Boden zu versinken.

 

Meinen Vater würde ich als Gefühlsmenschen beschreiben, er war emotional aber nicht zugänglich, er war „verschlossen“. Seine Stimmung war oft zwischen lustig und gereizt und für mich sehr unberechenbar. Ich versuchte immer wieder mit ihm in Kontakt zu kommen, egal was ich auch tat und nicht tat, sein Verhalten blieb für mich unberechenbar und nicht zu fassen.

 

Das beschäftigte mich in meinem Aufwachsen, weil ich glaubte, wenn ich anders wäre oder vielleicht nicht wäre, dann wäre er offen und da und die ganze Anspannung aufgelöst.

 

Die Gefühlszustände waren heftig und mündeten oft in Auseinandersetzungen und Abwertungen zwischen meinen Eltern. Es herrschte ständig eine Atmosphäre der Unberechenbarkeit, der Manipulation, der Missgunst. Ich spürte oft ein Unbehagen für das ich keine Worte finden konnte.

 

Heute bin ich vierzig und schon einige Jahre bei Al-Anon. Ich gehe regelmäßig in Meetings und habe hier meine positive Familie gefunden. Es sind Beziehungen entstanden die von Achtung und Wertschätzung geprägt sind.

 

Ich schätze die Struktur der Meetings: es wird nichts kommentiert, jeder arbeitet an seiner eigenen Genesung und unterstützt indem er bei sich selbst bleibt. Das wertschätzende Zuhören und das ehrliche Teilen ist ein völlig anderes Konzept wie Menschen gemeinsam lernen und wachsen, als ich es in meiner Familie erfahren habe.

 

Diese Form der Kommunikation gestaltet die Beziehungen mit meinen Kindern sehr ehrlich und fest. Dies ist die Grundlage einer starken und bedeutungsvollen Beziehung, geprägt von liebevoller und wertschätzender Atmosphäre, die ich als Mutter meinen Kindern mitgeben kann.

 

Dafür bin ich Al-Anon sehr dankbar. Das ist das wunderbarste Geschenk, das ich erhalten habe – dass ich den Kreislauf der Abwertung, Beschämung und Abhängigkeit nicht in die nächste Generation weitergeben brauche.

 

Ich habe gelernt, dass ich die Beziehung zu meinen Partner, als Herausforderung zum Wachsen sehen kann. Es fällt mir leichter, für meine nicht so angenehmen Gefühle die Verantwortung zu übernehmen, die Gefühle zuzulassen und auch wieder loszulassen. Besonders das Gefühl der Ablehnung, welches ich in meinem Aufwachsen versucht habe zur Seite zu schieben um zu überleben, zeigt mir in der Beziehung zu mir immer wieder, dass ich mich selbst nicht verlassen darf, dass ich heute liebevoll und wohlwollend mit mir umgehen kann.

 

Der regelmäßige Besuch der Meetings, die Telefonate mit Al-Anon Freundinnen und das Lesen in der Literatur gibt mir die Kraft und Motivation diesen Weg zu gehen. Ich fühle mich dadurch sehr eingebettet in einem Netz von Menschen die auf dem gleichen Weg sind und die da sind wenn ich meine Hand nach Hilfe ausstrecke und mir meine Erfahrungen machen lassen.

 

Als weiteren Aspekt möchte ich noch das Leben im „Hier und Jetzt“ ansprechen. Aus dieser Einstellung entwickelte ich eine optimistische, zuversichtliche Zukunftsperspektive die mir eine Freiheit gibt, die mich gelassen macht.

 

Es gibt nur den Augenblick der mir jetzt zur Verfügung steht und den kann ich jetzt für mich gestalten, ungeachtet dessen was vorher war und was in Zukunft sein wird. Das macht mich glücklich

 

DANKE

In meinem Leben „VOR AL-ANON“ gab es ständig ein AUF und AB der Gefühle. Viele Tage, Wochen und Monate waren von Kummer und Sorgen geprägt.

Dazwischen gab es immer wieder Hoffnung. Ich sagte mir in 4 – 6 Wochen einmal Zuviel zu trinken, das ist doch nicht so schlimm. In dieser Zeit begann ich zu kontrollieren, weise Sprüche abzugeben, aber auch nach einem Grund zu suchen.

Mein Mann, ein umgänglicher, redegewandter Mensch, redete plötzlich blödsinnige Sachen und war sehr streitsüchtig. Getrunken wurde meist versteckt und nur bei uns zu Hause. Die heimliche Ration hat es ausgemacht. Und so wurden alle Gäste bei Familientreffen hinausgeekelt.

Das gleiche Muster lief mit unserem Sohn ab. Es gab kein normales Miteinander mehr. Unser Sohn lebt in Deutschland und besucht uns mit Lebensgefährtin ca. alle 4 – 6 Wochen. Wohnt aber in diesen Tagen nicht bei uns. Es kommt so weit, dass die zwei Männer nicht mehr miteinander sprechen.

In dieser Zeit hatte ich bereits viele Hilfsmittel zur Hand. Einerseits waren es die Meetings, aber auch die Literatur holten mich wieder schnell aus den Tiefs heraus und ich konnte trotzdem gut schlafen, was früher ein großes Problem war.

„Warum tu`st du dir das an?“, fragte mich eines Tages mein Sohn. Da brauchte ich nie lange nachzudenken. Meine einfache Antwort: „Weil ich diesen Menschen nach über 40 jähriger Ehe immer noch liebe! Aber auch weil dieser Mensch, dein Vater, viele gute Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und Lebenstüchtigkeit gehabt hat. Alkoholmissbrauch führte zu dem Menschen, mit dem wir jetzt nicht zurechtkommen.

 

Ein Totalrausch an einem Vormittag war der Auslöser zu Al-Anon zu gehen. An diesem Tag wollte mein Mann, ein prima Hobbykoch, das Mittagessen zubereiten. Etwas zwei Stunden war ich beim Arzt und zu Hause erwartete mich mein Mann mit Vollrausch. Das Mittagessen war getränkt mit Rotwein, das Püree an den Möbeln. Das hat mich so geschockt, dass ich jetzt für mich ganz sicher war: „Montag gehe ich ins Meeting!“.

 

Beim ersten Meeting war die Aufregung riesengroß – aber noch nicht vorbei – spürte ich deutlich: „Da gehöre ich her! In dieses Meeting.“ Dieses Gefühl hat mich bis heute nicht verlassen. Ganz im Gegenteil. Die Geborgenheit unter den Al-Anon`s öffnete mir den Zugang zu mir selbst.

 

Der geschützte Raum, in welchem wir sprechen können, ist schon etwas Besonderes für mich. Ich meldete mich oft zu Wort und konnte wie sonst nirgends über alles reden. Die Last, wenn ich manches Mal ins Meeting ging, war am Nachhauseweg immer kleiner. Besonders viel lernen konnte ich durch das aufmerksame Zuhören, wenn andere über ihre Sorgen und Erfahrungen sprachen. Durch das 12-Schritte- Programm bin ich zu einem anderen Menschen geworden.

 

Anfangs leistete mein Mann Widerstand gegen Al-Anon, denn ich wurde unbequem. Es fehlte einerseits der Partner zum Streiten, andererseits wurde ich ein gefestigter Partner, der sich auf Beteuerungen und Versprechen nicht mehr einließ. Es half kein Bitten und keine Drohung, ich ließ mich nicht ein einziges Mal von meinem eingeschlagenen Weg abbringen. 

 

Die Folge war – meine innere Ruhe und Gelassenheit. Ich verhielt mich liebevoller und respektvoller in den vielen Gesprächen. Ein Satz hat, glaube ich, immer positive Reaktionen hervorgerufen: „Ich habe dich immer noch sehr gern, aber wenn du unter dem Einfluss von Alkohol stehst, kann ich mit dir nichts anfangen!“.

 

Für mich hat vieles in meinem Leben jetzt eine andere Wertigkeit. Ich weiß über mich und mein Inneres besser Bescheid. Horche in mich hinein und habe erst jetzt gelernt mich zu entspannen. Ich nehme mich viel besser wahr und mache auch viel für mich. Das war aber ein längerer Prozess und ist wahrscheinlich nie abgeschlossen.

 

Trotzdem, dass mein Mann nicht trocken war, ich bin zu einem zufriedenen, dankbaren, fast glücklichen Menschen geworden. Ich habe diese Situationen – Alkohol und andere Schwierigkeiten – akzeptiert. 

 

Das Al-Anon Programm hilft in allen schwierigen Lebenslagen.

 

Nach einem Kuraufenthalt hat mein Mann mir verkündet, nie wieder Alkohol zu trinken. Das hat bis heute, 2,5 Jahre danach, gehalten. Dadurch hat sich hauptsächlich geändert, dass aus einem frustrieten, unzufriedenen Menschen, mir ein liebevoller, zufriedener und dankbarer Mensch geschenkt wurde. Es ist tatsächlich ein Geschenk in unserem Alter noch verliebt zu sein. Und das, trotz einer vor 1,5 Jahren gestellten Diagnose: „Demenz“. Das hatte schon viele Sorgen mit sich gebracht, aber dank Al- Anon haben wir jetzt ein Leben mit viel Nähe und Liebe. Wir nehmen jeden Tag für sich an und es sind meist schöne Tag in Dankbarkeit.

Mein Name ist Elisabeth und ich bin Erwachsenes Kind aus alkoholkranker Familie. Wie sich weiter herausstellte bin ich auch Angehörige in mehrfacher Hinsicht.

 

Als zehntes von elf Kindern bin ich bereits in ein Familiensystem geboren, das festen Linien folgte und ich habe die Rolle angenommen mit der ich am besten überleben konnte. Ich nahm mir ein Beispiel an meinen anderen Geschwistern, die der Krankheit meines Vaters genauso taub gegenüber waren wie ich. Wir lernten früh, uns unauffällig zu verhalten, nicht zu sprechen wenn Papa den Raum betrat und uns aus dem Staub zu machen wenn er nach Hause kam. Lange Zeit glaubte ich, dass das überall so ist und dass sich alle Väter so verhielten. Ich habe diese Situation auch nie in Frage gestellt. Meine Mutter erklärte uns welch tragische Kindheit Papa hatte und wie sehr er sich selber ablehnt, obwohl er selbst mit ihr nie darüber gesprochen hat. Damit habe ich mich begnügt.

 

Heute weiß ich, dass meine Mutter noch immer alles versucht um meinen Vater, ihr Leben und alle um sie herum zu kontrollieren. Dabei ist es ihr unmöglich zu sehen, wie krank sie selber bereits ist.

 

Ich kam zu Al-Anon über eine meiner Schwestern, die das Programm für sich gewählt hat und zusehends liebevoller und gelassener wurde. Das wollte ich auch. Ich sah, wie meine anderen Schwestern Männer heirateten, die unserem Vater so ähnlich waren und noch immer sind, als Kinder aus alkoholkranken Familien, die selbst Alkoholprobleme haben.

 

Letzten Sommer erlebte ich einen Streit zwischen meiner Schwester, die vier Jahre älter ist als ich, und ihrem Mann, der getrunken hatte und ihr alles Mögliche an den Kopf warf. Da war es egal, dass sie gerade die Kinder zu Bett bringen wollte oder ich, seine Schwägerin zusah. Ich glaube er hat nichts mehr wahrgenommen. Ganz verzweifelt brachte mich meine Schwester nach Hause um sich zum ersten Mal bei meiner Mutter auszuweinen, die ihr selbst überhaupt nicht helfen konnte. Sie konnte nicht einmal ihre eigenen Ängste und Erlebnisse mit ihrer Tochter teilen, weil sie das alles verdrängt und blind dafür ist.

 

Dieses Erlebnis war für mich verstörend und beängstigend. Ich sah meine Zukunft genau so vor Augen und wollte mit meiner Schwester am liebsten mitheulen. In Gedanken wollte ich ihr sagen, „du darfst ihn verlassen“, das konnte ich aber nicht laut sagen, denn das ist das SCHRECKLICHSTE was ich meiner Mutter antun könnte. Jahrelang hat sie geschiedene Frauen verurteilt und ihnen vorgeworfen, nicht alles in ihrer Macht stehende getan zu haben um ihre Männer zu retten.

 

Als ich darüber mit meiner älteren, schon länger verheirateten Schwester sprechen wollte hat sie mir gesagt, dass das bei ihr zu Beginn der Ehe genau dasselbe war, und sich die Situation verbessern wird, wenn meine Schwester sich damit abfindet und das Vertrauen ihres Mannes mit der Zeit gewinnt. Das sie hier von totaler Selbstaufgabe sprach war ihr und mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich wusste nur, dass ich das nicht möchte.

 

So fand ich den Weg zu Al-Anon. Ich bin noch nicht lange im Programm aber ich habe gelernt was respektvoller Umgang miteinander bedeutet, was es heißt einander und sich selbst so zu akzeptieren wie man ist, dass der liebevolle Umgang mit mir selber zu einem liebevollen Umgang mit anderen führt und vor allem, dass ich lernen kann eine gesunde Beziehung zu führen und mich nicht vor allem und jedem verschließen muss.

 

Ich darf Wünsche, Träume und Hoffnungen haben, ich darf Gefühle haben, eine eigene Meinung, ich muss nicht jedem immer alles Recht machen, ich darf herausfinden was mir Recht ist und mich selber kennen lernen.

 

Ich darf NEIN sagen. Ich darf NEIN sagen, das habe ich zu Hause nicht gelernt, wie so vieles, das ich noch lernen möchte.

 

Ich bin so unglaublich dankbar, das ich in Meetings gehen und mich aussprechen kann, dass dort liebevolle Menschen sich freuen mich zu sehen und mit mir teilen, was sie beschäftigt, dass ich hier lernen kann ich selbst zu sein.

Al-Anon habe ich gesucht, da ich mit dem Trinkverhalten meines Mannes nicht mehr zurecht kam. Durch den telefonischen Kontakt zu den Anonymen Alkoholikern habe ich erfahren, dass es Al-Anon, für Angehörige gibt. Diesen Schritt habe ich erst gemacht, als ich nicht mehr weiter wusste – heute bin ich sehr dankbar dafür.

Meinen Mann habe ich sehr jung kennengelernt. Bereits zu Beginn hatte ich das Gefühl, dass er zu viel Bier trank. Trotzdem habe ich meiner Wahrnehmung nicht getraut, habe von Beginn an Entschuldigungen für ihn gefunden: „Junge Männer trinken manchmal über den Durst“. Ich wusste, dass er eine schwierige Kindheit hatte und habe manche Fehlverhalten darauf geschoben. Ich war überzeugt, dass wir es gemeinsam schaffen und ich ihm dabei helfen werde. Heute bin ich überzeugt, dass bereits aus meiner Herkunftsfamilie die Basis für meine co-abhängige Denkweise gelegt war.

Viele Jahre habe ich alles versucht um „sein Trinkverhalten“ in den Griff zu bekommen. Ich habe ihn kontrolliert, immer und immer wieder auf ihn eingeredet und auch emotional erpresst. Alkohol hat immer mehr Platz in unserer Beziehung eingenommen. Das Alkoholismus eine fortschreitende Krankheit ist, hat sich auch daran gezeigt, dass mein Mann immer wieder die Arbeitsstellen wechselte und immer die anderen daran schuld waren. Natürlich hat mir das große Angst gemacht – ich dachte aber über meine Angst nicht viel nach und trotzdem war sie eine gewaltige Triebfeder. Wesentlich mehr zerbrach ich mir darüber den Kopf, wie ich ihn trocken legen könnte.

Mit den Jahren wurde es schlimmer. Erschreckend selbstverständlich wurde die Unzuverlässigkeit, die Lügen gehörten zum Alltag und intensiver wurde die Scham. Wenn wir eine Einladung hatten, wenn eine Schulveranstaltung unseres Sohnes war, … d.h. immer wenn wir gemeinsam eine Verabredung hatten, war es mir bereits lieber alleine hinzugehen. Dann musste ich wenigsten nicht die Angst haben, dass mein Mann sich daneben benahm, verbal aggressiv wurde und ich mich für ihn schämte.

Wir bekamen unser Wunschkind und selbst während der Schwangerschaft war es ihm nicht möglich auf Alkohol zu verzichten (das hatte ich gehofft). Damals wusste ich noch viel zu wenig über die Familienkrankheit Alkoholismus und meinte noch immer, dass ich mich einfach noch mehr anstrengen musste, um ihn in den Griff zu bekommen.

Nach der Geburt unseres Sohnes – das Trinken wurde nicht weniger – suchte ich Hilfe bei einer Alkoholberatungsstelle. Diese haben wir gemeinsam einige Male in Anspruch genommen. Leider hörte ich auch damals nicht, dass Alkoholismus eine Krankheit ist und ich bekam auch keine Information, dass es bei Al-Anon Hilfe für Angehörige gibt. Mein Mann bekam den Tipp, dass er kontrolliert, weniger trinken sollte. Ich kann auch heute nicht beurteilen, wie lange ihm das gelang, bzw. wie lange ich wegschaute, verdrängt um es nicht erkennen zu müssen. Heute bin ich überzeugt, dass das Wegschauen, das Leugnen zu meiner Krankheit, der Co-Abhängigkeit gehört.

 

In dieser Zeit haben wir uns entschieden gemeinsam Haus zu bauen. Ab Baubeginn stieg schlagartig der Alkoholmissbrauch an. Es waren – wie häufig auf Baustellen üblich – die Bierkisten voll gefüllt und der Bauherr war der beste Gast. Während der Bauzeit war mein Mann permanent überfordert, und ich wurde – nach außen – meiner Rolle der starken Ehefrau, die (scheinbar) alles im Griff hat, gerecht. Ich verdrängte immer mehr und redete mir ein, dass sich alles zum Positiven ändern wird, sobald wir eingezogen wären. Außerdem strengte ich mich immer noch mehr an um soviel wie möglich zu vertuschen, damit andere „nichts“ von der Familiensituation mitbekamen. So habe ich selbst erlebt, dass besonders Alkoholismus eine Geheimniskrankheit ist – man redet nicht darüber und tut als wenn nichts wäre.

 

Weiters setzte ich alles daran, dass unser Sohn so wenig wie möglich mitbekam (das glaubte ich zu dieser Zeit auch bzw. wollte es glauben). Auch hielt ich während dieser Zeit meine Illusion aufrecht: „Sobald die Überforderung, der Stress durch das Bauen wegfiele, würde er der Mann, der Vater,…. den ich mir vorstellte. Wenn mein Mann uns nur genug lieben würde, könnte er weniger trinken!“ Ich hatte keine Ahnung von der Dynamik der Krankheit Alkoholismus.

 

Ich spürte mich selbst nicht mehr. Ich reagierte nur noch und alles drehte sich darum, wie mein Mann sich heute verhält, mit welchem „Alkoholspiegel“ er wohl heute nach Haus kommt.

 

Unser Sohn litt am meisten, wenn sein Vater seine Versprechungen nicht einhielt, wenn er betrunken Drohungen aussprach. Ich hätte alles daran gesetzt dies zu ändert – das lag aber nicht in meiner Macht. 

 

In diesem Zeitraum also fand ich zu Al-Anon. Ich dachte, ich will hören wie andere Menschen mit diesem Problem umgehen. Ich weiß heute noch wie wohl, wie verstanden ich mich sofort in den ersten Meetings fühlte. Ich wusste, dass diese Menschen ebenfalls trinkende Angehörige hatten und trotz der belastenden Situationen lachen konnten. Ich spürte die Gelassenheit im Meetingsraum und ich merkte, dass sie gelernt hatten, mit ihrer Angst anders umzugehen. Ich war angekommen – das alles wollte ich auch.

 

Ich war zwar sehr vorsichtig, da immer wieder Gott und die Höhere Macht in Texten vorkam, und ich wollte keineswegs bei einer Sekte landen. Aber beim Zuhören in den Meetings, wenn Angehörige, welche bereits länger bei Al-Anon waren erzählten, dachte ich, die säßen bei mir zu Haus. Es war ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit und der Zugehörigkeit – ich war mit meiner Verzweiflung nicht mehr allein und ich wurde verstanden. Ich brauchte mich bei Al-Anon nicht zu schämen.

 

Ich erkannte mit der Zeit, dass für uns Angehörige – ob Partner, Kinder, Eltern, Freunde – die Probleme ähnlich sind. Trotz unterschiedlicher Herkunft, Glauben, … sind wir alle vom Alkoholismus eines anderen beeinträchtigt. Ich erkannte vor allem, dass meine Verhaltensmuster, d.h. die Reaktion auf den Alkoholiker, ebenfalls krank sind und dass ich aus diesem Karussell aussteigen konnte, wenn ich mich und mein Verhalten änderte. Die alten Muster hatte ich ja jahrelang gelebt und war daran kläglich  gescheitert. 

 

Ab meinem ersten Meeting ging ich nun einmal wöchentlich zu einem Al-Anon Meeting und verstand langsam, dass Alkoholismus eine Krankheit ist – nicht Böswilligkeit, nicht Schwäche. Ich habe begonnen schrittweise das 12-Schritte-Programm, die Slogans und die praktischen Erfahrungen anderer Angehöriger anzuwenden. Ergänzend habe ich sehr viel Al-Anon Literatur gelesen und mir auch sonst alles was mit dieser Krankheit zu tun hat „reingezogen“. Sehr schnell habe ich erkannt welche Rolle ich in diesem Familiensystem spiele und ich wusste nicht, wo ich mit der Änderung beginnen sollte. Niemand bei Al-Anon gab mir Ratschläge, ich hörte nur: „Komm wieder, es wirkt“. Und ich merkte mir: „Wenn ich Veränderung lebte, wenn ich mich ändern würde und lernte gesünder zu reagieren, dann würde sich auch die Familiensituation ändern.“ – und es gab keine Versprechen wie sich was ändern könnte.

 

Schritt für Schritt, langsam – sobald ich (und nur ich) dazu bereit war, konnte ich dann Veränderung in meinem Alltag durchführen. Ich hatte bereits gelernt, Schritte erst dann zu setzten, sobald ich bereit bin diese auch wirklich, konsequent und dauerhaft durchzuhalten. 

 

Es begann damit, dass ich keinen Alkohol mehr nach Haus brachte. Mit der Zeit habe ich verinnerlicht, dass ich mich für das Verhalten meines Mannes nicht zu schämen brauchte – und es gibt in alkoholbelasteten Familien genug, wofür man glaubt, sich schämen zu müssen. Ich lernte, dass es sinnlos ist Versprechen einzufordern, die der Alkoholiker nicht halten kann. Nicht weil er mich nicht liebt, sondern weil Unzuverlässigkeit und Lügen ein Teil dieser Krankheit sind.

 

Sehr entlastend war zu realisieren, dass ich nicht daran schuld bin, dass mein Partner trinkt. Was auch immer ich tue oder nicht tue – ein Alkoholiker wird immer einen Grund finden, um zu trinken – und das hatte nichts mit mir zu tun. Ich lernte, dass es an mir liegt, ob ich dem Tag auch Schönes abgewinnen kann, oder eben nur traurig bin und mit meinem Schicksal hadere. Unsagbar froh bin ich, dass ich mit den Jahren lernen konnte, viel weniger Angst zu haben. Ich erkannte bei Al-Anon, dass die Angst zu meiner „Angehörigen-Krankheit“ gehört. Angst hat mich täglich begleitet; Angst vor möglichen Ereignissen (Autounfall im betrunkenen Zustand, Arbeitsverlust, …), welche täglich passieren hätten können.

 

Ich übte auch – Schritt für Schritt – meinen Mann nicht mehr zu kontrollieren (nicht zu zählen wie viel er getrunken hat, …) und ihm seine Verantwortung wieder zurückzugeben. All diese Veränderungen erforderten sehr viel Mut. Mut um die Angst durchzustehen. Mut und Kraft um den Widerstand und den Ärger meines Mannes auszuhalten, der ja meine Veränderungen nicht akzeptieren wollte.

 

Die Unterstützung und die Bestärkung der Al-Anon Gruppe war für mich unbeschreiblich wichtig. Nicht nur mein Mann, auch der Freundeskreis, meine Umwelt hatte oftmals Fragezeichen in den Augen. In Al-Anon lernen wir LOSLASSEN (mit dem bekümmern endlich aufzuhören) – viele Menschen in meinem Umfeld haben meine gesunden Veränderungen als fallenlassen empfunden und nicht verstanden, wie wichtig es für Angehörige ist „gesund egoistisch“ zu werden.

 

Ich tat einfach sehr viel – auch in der Hoffnung, dass mein Mann endlich den Wunsch haben würde mit dem Trinken aufzuhören. Denn eines war bei mir bereits verinnerlicht: „Ich konnte ihn nicht trockenlegen.“ Und er könnte erst dann aufhören zutrinken, wenn er das wollte und möglicherweise, wenn es ihm schlecht genug ging. Zu dieser Chance konnte ich zumindest beitragen, indem ich ihm nicht mehr alles abnahm und „keine Hilfe ist die beste Hilfe“ auch lebte.

 

In diesen Jahren erkannte ich auch, dass die Basis für mein co-abhängiges Verhalten bereits in meiner Herkunftsfamilie gelegt worden war. Ich hatte einen schwer disharmonischen Vater der auch Alkohol missbrauchte. Die Co-Muster wurden mir vermutlich bereits mit der „Muttermilch“ in die Wiege gelegt. Und ich profitierte von den Erfahrungen anderer Al-Anon Mitgliedern, die erzählten, dass erwachsene Kinder häufig alkoholmissbrauchende oder alkoholkranke Partner finden. Das Familienmuster war mir vertraut.

 

Ich musste auch erkennen, dass das schwächste Glied in dieser Kette unser Sohn war. Und vor allem musste ich die Illusion begraben, dass er nichts merkt und nicht geschädigt wird. Mir wurde klar, dass er sicher sehr viel wahrnahm, wir aber nicht darüber redeten. So hab ich dann begonnen, das Problem auch bei unserem sechsjährigen Sohn, kindgerecht anzusprechen. Sehr hilfreich war für mich auch das Büchlein „Was heißt betrunken Mama“. Trotz Widerstand meines Mannes konnte unser Sohn so in Alateen lernen: „Ich hab Papa lieb und wenn er betrunken ist und sich komisch benimmt, hat das etwas mit seiner Krankheit zu tun.“ Unser Sohn ging einige Jahre in die Alateen Gruppe für Kinder und Jugendliche. Ich bin überzeugt, dass er davon profitiert hat und durch Alateen sehr gestärkt wurde.

 

Leider konnte mein Mann nicht trocken werden. Ich bin sehr dankbar bei Al-Anon zu sein und bereits viel gelernt zu haben. Ich habe meinen Weg – ohne Ratschläge – finden dürfen, ich habe mich kennengelernt. Ich habe gelernt Grenzen zu setzten und auf mich zu achten. Durch diesen Prozess habe ich erkannt, wie wertvoll mein Leben ist und dass ich darauf achten will, dass es mir gut geht. So habe ich den Mut gefasst, die Ängste bewältigt und mich von meinem Mann getrennt. Er darf seinen Weg gehen und ich habe für mein Leben entschieden, dass ich so nicht mehr leben werde.

 

Ich gehe weiterhin in die Al-Anon Familiengruppen – das 12-Schritte-Programm wirkt sich sehr positiv auf mein ganzes Leben aus. Ich lebe heute in einer zufriedenen, sehr glücklichen Partnerschaft.

 

Ich bin sehr dankbar, dass ich zu Al-Anon gefunden habe und ich bin auch all jenen Al-Anon Freunden sehr dankbar, von denen ich lernen durfte.

“They asked me to come back.  I told them I had to go home and vacuum, that I really didn’t have the time – and, if they had anything to tell me, they should write it down and I would review it.  They smiled and said, “Just ‘Keep Coming Back’!”  They exchanged hugs – which I did not like or want. I ran out!” (Member Sharing#60), Many Voices, One Journey (B-31), p. 191

“Some members are initially reluctant to go to meetings, but ultimately remain in Al‑Anon for many years. Was I reluctant to attend Al‑Anon meetings? What kept me coming back?” Many Voices, One Journey (B-31), p. 192

Mein Name ist Viktoria und ich bin Mitte der 1970iger Jahre in einem kleinen Bauerndorf in Ost-Österreich geboren worden. In bin das vierte von elf Kindern einer Kleinbauernfamilie. Die vierte Tochter, die noch immer kein Sohn geworden ist. Mein Vater ist Alkoholiker. Seit er sein erstes Geld verdient hat, hat er es teilweise oder ganz in Alkohol umgesetzt und ist diesem Verhalten bis heute treu geblieben. Er ist nasser Alkoholiker. Ich bin heute 36 Jahre alt und Erwachsenes Kind.

 

Meine Mutter ist die mittlere von fünf Kindern einer Bauernfamilie und ebenfalls Erwachsenes Kind. Ihr Vater war Alkoholiker, der an Alkoholismus gestorben ist, beim Versuch, sich zu erhängen. Meine Mutter ist bei seinem Tod 16 Jahre alt und wird zwei Jahre später einem Mann begegnen, der denselben Namen wir ihr Vater trägt und ebenfalls Alkoholiker ist. Sie wird ihn heiraten, 11 Kinder mit ihm haben, ihn aufopfernd und überfürsorglich lieben, im Versuch, ihn zu retten und sich selbst dabei aufgeben und erschöpfen.

 

Mein Vater ist der jüngste Sohn und Hoferbe von 9 Kindern einer Bauernfamilie und den Gewalttätigkeiten seiner älteren Geschwister, vor allem Brüder ausgesetzt, die viel Macht in der Familie erhalten, nachdem die Mutter psychisch krank ist (heute würde man sagen Burnout-Depression) und der Vater durch einen Unfall mit Hirnschädigung in seiner Motorik eingeschränkt ist. Seine Mutter heiratet spät für die damalige Zeit (Ende 20) und bekommt in kürzester Zeit 9 Kinder. Sie ist abhängig von der Mithilfe ihrer Schwiegermutter, mit der sie sich nicht gut versteht. Bei der Arbeit mit den Kindern und dem Hof hat sie von ihrem Mann wenig Unterstützung, da er bevorzugt auswärts arbeiten geht um den lauten Streitereien mit seiner cholerischen Frau zu entgehen. Als die Kinder erwachsen sind, erhängt sich meine Großmutter aus Verzweiflung. Damals ist mein Vater 22 Jahre und bleibt mit seinem alten Vater allein auf dem Hof, den er nie wollte. Drei Jahre später wird er seiner Frau begegnen, die seinen Wunsch erfüllt, und ihm keine lauten, zornigen Vorwürfe macht, wie seine Mutter.

 

Schon als Baby in der Wiege weiß ich, dass es nicht in Ordnung ist, meinen wahren Gefühlen freien Lauf zu lassen und zu schreien, wenn mein Vater zu Hause ist. Dann ängstigt sich Mama wieder und Papa ärgert sich über den Lärm und schreit. Ich bin tief enttäuscht, kein Junge zu sein, weil mein Umfeld erwartet und erhofft hatte, dass ich einer sein solle. Ich lerne schnell, wann es gut ist zu schweigen und mich unsichtbar zu machen um nirgends anzuecken. Ich realisiere die Angst von meiner Mutter gegenüber meinem ständig betrunkenen Vater und gegenüber vielen anderen Situationen und Menschen in ihrem Leben. Ich realisiere, dass sie sich überarbeitet, nicht schont und nicht gut für sich sorgt. Ich möchte sie vor meinem Vater retten und werde es im Laufe meines Lebens zu einer Priorität machen, sie vor sich selbst und ihrem Mann zu retten. Ein Unterfangen, an dem ich täglich scheitere und dass mich zum absoluten Versager in meinen Augen werden lässt. Ich lehne meinen Vater ab, da er mich ablehnt, obwohl ich mir innig wünsche, nur einmal von ihm gesehen, geliebt, erkannt zu werden. Es würde mir schon genügen, wenn er mich einmal mit meinem Vornamen ansprechen würde. Das geschieht aber nicht. Wenn ich mit ihm allein bin, habe ich einfach nur Angst. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und wie ich mich bewegen soll. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich habe keine Identität, denn das, was ich bin, wird laufend von ihm ignoriert und abgelehnt, also beschließe ich, mein Wesen keinem mehr zu zeigen, weil es nicht wertvoll ist. Mein Selbstwert verliert sich. Ich fühle mich von ihm völlig ignoriert und abgelehnt. Das einzige, was meinen Vater zu erreichen scheint und wodurch ich seine Aufmerksamkeit und Anerkennung gewinnen kann, ist Leistung. Also beschließe ich, da ich sportlich gut bin, dort eine Siegerin zu sein, was mir im Alter von 11 bis 13 Jahren oft gelingt. Ich komme mit Pokalen und Medaillen nach Hause und werde für den Moment zumindest gesehen.

 

Dem Beispiel meiner Mutter folgend entwickle ich die Lebenseinstellung „ich leiste also habe ich eine Lebensberechtigung“. Ich bin keine Vorzugsschülerin, aber eine gute Schülerin und ich lerne leicht. Als eine der älteren Schwestern trage ich schnell große Verantwortung im Umgang und der Pflege meiner kleineren Geschwister. Ich passe auf sie auf, wickle sie, lege sie schlafen, füttere sie, trage sie herum, beschäftige mich mit ihnen. Meine Mutter ist mit ihrer Arbeit ganz alleine und braucht uns älteren Töchter um den Tagesablauf zu bewältigen. Je älter ich werde, umso mehr wehre ich mich dagegen und als meine Mutter zu müde wird um mich zu zwingen ihr zu helfen, versuche ich, so wenig wie möglich im Haushalt zu tun. Deshalb habe ich riesige Schuldgefühle, weil sie so viel zu tun hat. Ich werde zum Rebell und diejenige, die meine Mutter konfrontiert und mit ihr diskutiert. Im Alter von 16 bin ich das erste ihrer Kinder, die Mama offen fragt, ob Papa ein Alkoholproblem hätte und sie sagt „Ja“. Davor ist dieses Thema in unserer Familie ein absolutes Tabu und wir hören, dass wir eine ganz normale, liebevolle Familie seien. Nun, ich kann das – anscheinend als einziges Geschwister – nicht glauben und stelle mich noch etwas mehr ins Abseits. Meine widerspenstige Rolle „meinen eigenen Weg“ zu gehen hilft mir dabei. Ich isoliere mich innerlich, fühle mich verlassen und verraten.

 

Etwas, das ich als kleines Kind auch schnell begreife ist, dass meine Mutter, wenn wir Kinder mit ihr alleine sind, auf uns eingeht und für uns da ist, so gut es ihre Arbeit erlaubt. Sie lebt in diesen Zeiten für uns, indem sie für uns arbeitet und uns anhört. Wir verbringen als wir etwas älter werden Stunden bei ihr in der Küche um zu plaudern, während sie bügelt. Eine schöne Zeit, weil ich ihre Aufmerksamkeit habe. Sobald allerdings Papa nach Hause kommt, verschwindet ihre Persönlichkeit. Sie ist nur noch auf meinen Vater konzentriert und ihm zu Diensten und wir alle verändern unsere Persönlichkeit wie Chamäleons. Ich habe immer das Gefühl, der Sargdeckel würde sich schließen und ich hätte keine Luft und kein Licht zum Leben. Das Leben hört auf, wenn auch meine Mutter verschwindet, wie mein Vater. Dieses Verlassen- und Verraten sein ist überaus beängstigend und lebensbedrohlich für mich.

 

Um zu überleben verherrliche ich meine Eltern. Ich rette mich in eine Traumwelt, in der meine Mutter meine Heldin ist und ich folge ihrem Beispiel so gut es geht. Sie ist die Person, der ich dennoch alles anvertraue. Meine engste Gefährtin und Freundin, da ich keine Freundin oder keinen Freund in meinem Alter habe. Meine Schulkollegen lehne ich ab und begegne ihnen überheblich und arrogant. Ohne diesen Selbstschutz würde ich mich keinen Tag in die Schule trauen. Ich bin lieber mit den Burschen zusammen, weil diese Beziehungen distanziert sind. Gemeinsam sporteln und konkurrieren ist Nähe genug. Ich verbringe die Freizeit in meiner Jugend alleine und lese sehr viel im Schlafzimmer von uns 4 Mädchen, das unter tags meistens frei ist. Ich entwickle eine starke Esssucht, werde fernsehsüchtig und suche mir weitere Fluchtaktivitäten, um mit meinem Leben fertig zu werden. Ich lerne, nicht über meine wahren Gefühle zu sprechen, da wir in der Familie wortlos sind.

 

Zwischen diesen Mühlen des „Anerkannt-sein-Wollens“ und des „mich-total-abgelehnt-Fühlens“ entwickle ich mich zu einem Leistungsmenschen, einem Perfektionisten und einer exzellenten Schauspieleren, die ihr wahres Wesen nie zeigt. Ich habe dramatische Versagensängste, bin überheblich, besserwisserisch und arrogant. Ich werde überkritisch und verurteile mein Umfeld, wie mich selbst. Ich suche die Schuldigen im Außen und finde täglich genug Menschen und Situationen, die für meine unguten Situationen verantwortlich sein sollen. Das Selbstmitleid und eine latente, andauernde depressive Stimmung haben mich fest im Griff. All das verstecke ich hinter einer sanften, verständnisvollen Hilfsbereitschaft, die meinen nächsten Bezugspersonen aber keine Hilfe bringt, weil diese Freundschaften bzw. Verliebtheiten immer im Streit auseinander gehen. Das verstärkt mein Gefühl eine Versagerin zu sein und ich hasse mich von ganzem Herzen.

 

Es fällt mir überaus schwer, mich in einer neuen Umgebung zu Recht zu finden. Als ich mit 14 ins Internat komme brauche ich fast ein halbes Jahr, um mich anzugewöhnen und meinen Alltag normal zu bewältigen. Ich weine jeden Abend aus Verzweiflung und Überforderung, was ich selbstverständlich niemand zeige und zu Hause nicht erzähle. Ähnlich geht es mir als ich nach der höheren Schule mit meinem ersten Berufsalltag konfrontiert bin. Ich bin verzweifelt, völlig überfordert und mutlos, kämpfe aber mit allen meinen Kräften und werde fachlich sehr schnell gut. In den nächsten Jahren mache ich beruflich Karriere, ziehe laufend um, wechsle häufig den Job und verliebe mich in regelmäßigen Abständen in einen Mann, der schwere Suchtprobleme hat und den ich vergeblich zu retten versuche. Ich habe zu keinem dieser Männer eine Beziehung. Über Gespräche gehen diese Bekanntschaften nicht hinaus. Gute Männer, die sich für mich interessieren empfinde ich langweilig und flüchte mich lieber in Traumwelten über Happy-End-Romanen. Ich bilde mich weiter und forciere meine berufliche Karriere, um anerkannt zu werden. Ich setzte mich vier Jahre einem berufsbegeitenden Studium aus um noch erfolgreicher werden zu können und nehme direkt danach eine sehr verantwortungsvolle Position in einem schwierigen Unternehmen wahr. Ich bin arbeitssüchtig, weil mich auch das sehr gut von meinen Gefühlen, und meinem Leben ablenkt. Ich erschöpfe mich immer wieder und ergehe mich in Beziehungsdramen, die furchtbar weh tun.

 

Das alles gipfelt in chronische Verspannungsschmerzen, die mich demoralisieren und es mir unmöglich machen einer Arbeit nachzugehen und mich in den Beruf zu flüchten. Ich beschließe, keine Tabletten zu nehmen, weder die verschriebenen Antidepressiva, noch Schmerzmittel. Ich bin 5 Monate isoliert, da ich alleine lebe und meine beruflichen Kontakte auch immer meine privaten waren. Ich bin von Monat zu Monat verzweifelter und meine so klaren Bitten an Gott werden nicht erhört. Ich bin zornig auf Gott, auf die Welt und auf mich selbst und hasse das alles aus tiefstem Herzen. Mir ist in der Seele klar, dass Gott auch in dieser Zeit gut auf mich aufpasst und mir „nur“ Seinen Weg zeigt. Einen Weg, den ich einfach nicht akzeptieren will und mit dem ich hadere. Die Angst mit meinem schlechten körperlichen und emotionalen Zustand keiner Arbeit nachgehen zu können verstärkt die Spirale nach unten und ich erlebe einen bitteren, langen und schmerzvollen Tiefpunkt. Als ich der Bitte meiner Mutter nachkomme und mit meiner jüngsten Schwester das Wohnzimmer und die Küche meines verwahrlosten und baufälligen Elternhauses streiche frage ich mich entsetzt, was mit mir und meiner Familie los ist, weil sich nie jemand um die Instandhaltung des Hauses gekümmert hat. Ich bin erschüttert genug, um mir ernsthafte Gedanken zu machen und erstmals bröckelt die Fassade und das Verleugnen. Nein, wir sind keine glückliche Familie. Nein, ich habe mein Leben nicht im Griff. Nein, ich kann mein Leben überhaupt nicht meistern. Ich lese nach Jahren das Buch „Familienkrankheit Alkoholismus“ noch einmal und die Inhalte erreichen mich. Ich bin erschüttert und beschließe, in ein Al Anon Meeting für Erwachsene Kinder zu gehen. Ich bin bereit, meinen Stolz und meinen Eigensinn zu überwinden und um Hilfe zu bitten. Trotz meiner furchtbaren, vernichtenden Angst gehe ich in dieses Meeting. Die Alternative ist weitaus beängstigender als mein wahres Ich im Meeting fremden Menschen zu zeigen.

 

Vom ersten Meeting an fühle ich mich angenommen, geliebt – obwohl ich damals noch nicht verstehe, was das ist, und nicht mehr alleine. Wir sind mit mir 6 Personen und die meiste Zeit weine ich vor Erleichterung, Erschöpfung und Dankbarkeit. Der Schmerz, den ich jahrzehntelang vergraben habe kommt ein klein wenig an die Oberfläche und ich kann ihn annehmen und loslassen. Vom ersten Abend an fühle ich mich zuversichtlich, hoffnungsvoll und ich glaube daran, dass es jetzt besser werden wird. Dieses Gefühl bestätigt sich seither Tag für Tag. Seit meinem ersten Meeting gehe ich regelmäßig in Meetings. Ich versuche in der ersten Zeit alle mir möglichen Termine von Meetings wahrzunehmen. Mein arbeitsloser Alltag wird ausgefüllt mit Meetings am Abend und Arbeit im Programm unter tags. Ich beginne mich parallel dazu beruflich zu bewerben und werde von meinen FreundInnen unterstützt und aufgemuntert. Erfreulicher Weise erlauben mir die FreundInnen in zwei AA Gruppen, wöchentlich auch die geschlossenen Meetings zu besuchen. So gehen ich bis zu sechs Mal die Woche ins Meeting, lese die Literatur, lese die Tagesmeditationen und beginne, konsequent in den Schritten zu arbeiten. Ich höre zu und lerne, ich teile meine Erfahrung, Kraft und Hoffnung, ich übernehme Dienste und gewinne eine innige und schöne Beziehung zu meiner Sponsorin. Überhaupt werde ich langsam beziehungsfähig. Ich lerne viel über Co-Abhängigkeit und beginne, mich mit meiner Vergangenheit ehrlich auseinander zu setzen. Die ersten Wochen habe ich das Gefühl schizophren zu sein, weil ich zwischen der Realität und der Verleugnungswelt meiner Vergangenheit unterscheiden lerne.

 

Ich kapituliere und anerkenne meine Machtlosigkeit dem Alkohol, dem Alkoholiker und anderen Menschen gegenüber an. Ich lerne, dass ich nur mein Leben verändern kann und dass ich nicht in der Lage bin, die Verantwortung von anderen Menschen zu tragen. Ich lerne den Unterschied zwischen Machtlosigkeit und Hilflosigkeit. Ich finde durch die Gruppe langsam das Vertrauen zu einer Macht, die außerhalb von mir und größer als ich ist. Ich finde danach den Glauben und das Vertrauen zum Gott meiner Kindheit, den ich bis dahin nicht als liebevoll und gütig spüren konnte. Nach geraumer Zeit erkenne ich, wie mein Eigensinn, meine Egozentrik und meine Angst mein Verhalten gesteuert haben und mich laufend in missliche Situationen gebracht haben. Ich lerne erleichtert und dankbar, meinen Willen und mein Leben „nur für Heute“ Gottes Sorge zu übergeben. Mangelndes Vertrauen ist ein zentrales Thema und es gelingt mir nach und nach Vertrauen in meine 12-Schritte-Freunde, mich selbst und in Gott zu finden. Ich entspanne mich etwas und das Leben wird ein klein wenig leichter, heiterer, ruhiger. Ich habe mit manchmal beunruhigenden Gefühlen umzugehen und lerne langsam, dass Gefühle nicht die Realität sind und ich sie aushalten kann. Für den vierten Schritt nehme ich mir einige Wochen Zeit und schreibe alles nieder, was ich zu dem Zeitpunkt an Ängsten, Fehlern, Mustern, Talenten, Stärken, Bedürfnissen etc. in mir entdecken kann. Die Erkenntnisse sind ernüchternd und angenehm zugleich. Ich lerne zwischen Scham und Schuld zu unterscheiden und erkenne, wie viele Reaktionen in meinem Leben aus großem Schamgefühl heraus entstanden sind. Vor dem 5. Schritt habe ich Angst, aber meine Sponsorin rät mir, nicht auf die lange Bank zu schieben und da durchzugehen. Also bekenne ich meine Fehler unverhüllt Gott, wobei ich mich sehr geliebt und getröstet fühle. Ich bekenne meine Fehler – vor einem Spiegel sitzend – mir selbst gegenüber und lerne, wie gut es sich anfühlt, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben zu dem stehe, was ich getan habe und tue. Das Bekennen einer anderen Person gegenüber erleichtert mich und das Gefühl der Isolation hört auf. Ja, ich bin ein Mensch. Ja, ich mache Fehler. Ja, alle anderen machen auch Fehler. Ja, ich bin wie alle anderen und gehörte zu dieser Gemeinschaft der Menschen. Wie wundervoll. Immer wieder lese ich das Blaue Buch der AA, das mir viele Erkenntnisse bringt und mich – wie die gesamte andere Literatur, derer ich habhaft werden konnte – auf dem Weg durch die Schritte begleitet. Schritt 6 und 7 erfordern Zeit und ich bemühe mich um Demut und Geduld und um weiteres „loslassen und Gott überlassen“. AA-Meetings schenken mir die Gnade zu spüren, dass ich den 6. und später den 7. Schritt innerlich vollziehe. Ich spüre deutlich, als die Zeit reif ist und ich zum 8. Schritt übergehen kann. Meine Liste der Personen, an denen ich den angerichteten Schaden wieder gut machen will ist recht lange und ich überlege reiflich, wie ich ihn erfüllen kann. In allen Schritten bitte ich täglich meine Höhere Macht um Hilfe, Erkenntnis und Bereitschaft. Ich bitte um Ehrlichkeit, Vertrauen und Kraft. Ich lerne, dass Gott wirklich das für mich tut, was ich nicht selbst für mich tun kann und bin dankbar – so dankbar dafür. Es erleichtert mich, dass Personen, die ich auf meiner Liste habe und zu denen ich schon länger keinen Kontakt habe auf mich zukommen und ich so die Möglichkeit habe, meinen Teil des Schadens wieder gut zu machen. Alle anderen Wiedergutmachungen, die ich leiste gehen positiv aus und ich fühle mich besser und gehe aufrechter. Meine Schuldgefühle werden von Mal zu Mal weniger. Mein Groll, meine Vorwürfe, mein Hass, meine Egozentrik vergehen damit auch jeweils wieder etwas mehr. Bei einigen Personen bin ich heute, nachdem ich ein Jahr im Programm bin, noch nicht bei der Wiedergutmachung angelangt. Es ist wirklich ein Lebensprogramm und für heute bin ich damit zufrieden zu wissen, dass ich daran arbeite und bereit werden will, alles zu vergeben und alle um Vergebung zu bitten.

 

Das tägliche üben des 10. Schrittes – ich mache das am Morgen – tut mir sehr gut und hilft mir, meine Beziehungen zu klären. Ich bete täglich und meditiere über den Tagestexten. Ich gehe fast jeden Morgen in Gedanken vor Gott alle Schritte durch und fühle mich dann für den Tag gestärkt und geführt. Ich bitte Gott darum, Seinen Willen zu suchen, ihn zu erkennen und mir den Mut und die Kraft zu geben, ihn auszuführen. Dass ich erleichtert bin, nicht länger Gott spielen zu müssen. Diese Last will ich nicht mehr in meinem Leben haben. Und ich will die Liebe und die Gnaden, die ich in den letzten Monaten, seit ich im Programm bin, erfahren habe auch an alle die weitergeben, die noch leiden. Das tue ich im Meeting, das ich einmal die Woche besuche und im Alltag, wenn mir jemand begegnet, der offen sprechen möchte.

 

Seit einem halben Jahr lebe ich an einem wunderbaren Ort inmitten von Seen und Bergen, habe eine angemessene und schöne berufliche Aufgabe, habe einen liebevollen Freundeskreis aus den Meetings bei dem ich mich aufgehoben fühle. Ich habe meinen Frieden mit meinem Vater gemacht und umarme und bussle ihn, wenn ich ihn sehe. Das ist sehr ungewohnt für ihn, aber er nimmt das an und wir freuen uns beide darüber. Ich werde beziehungsfähiger und habe einen Mann kennengelernt, mit dem ich mich offen austauschen kann, vor dem ich keine Angst habe und bei dem ich mich immer wohler fühle. Ich kann in seiner Gegenwart bei mir bleiben und dennoch mitfühlend und liebevoll sein. Ich kann seine liebevolle Zuwendung annehmen und so zeigen, wie ich wirklich bin.

 

Ich bin heute für mein Leben wie es war und mein Leben, wie es ist dankbar. Ich bin Gott dankbar für Seine Führung und Seine Gnaden als ich noch keinen brauchbaren Zugang zu ihm hatte und ich bin Ihm dankbar für das letzte Jahr, in dem so vieles in mir heil geworden ist. Ich bin allen Freunden und Freundinnen in den Meetings überaus dankbar für ihre Liebe und ich freue mich, dass ich schlussendlich aufgegeben habe und meinem alten Leben gestorben bin um mein wirkliches Leben zu leben und es zu lieben. Heute weiß ich, dass ich wertvoll bin, liebenswert und fähig zu lieben. Ich weiß heute, was Respekt ist und wie sich Achtung vor mir selbst und vor meinem Nächsten anfühlt. Das Glück meines Lebens ist heute nicht mehr abhängig von anderen Personen, sondern von meiner inneren Einstellung und meiner Beziehung zu Gott. Ich lerne Grenzen zu setzen und „Nein“ zusagen, wenn ich in einer Situation bin, die mir nicht gut tut oder ich in Gegenwart von Menschen bin, die sich unangemessen verhalten.

 

So werde ich weiterhin „nur für Heute“ im Programm arbeiten und im Vertrauen auf Gott, auf die vertrauenswürdigen Menschen in meinem Umfeld und auf mich selbst mein Bestes geben, gemäß dem Slogan „Fortschritt, nicht Perfektion“.

Mein Name ist Lukas, 19 Jahre alt und im schönen Österreich geboren.

 

Meine Erinnerungen an meine Kindheit, in welcher meine Eltern noch zusammen lebten hält sich in Grenzen, worüber ich auch sehr froh bin. Es hört sich vielleicht beim ersten Lesen blöd an, allerdings waren die Zeiten, als meine Eltern noch zusammen wohnten bzw. verheiratet waren, die schlimmsten in meinem noch jungen Leben.

 

Meinen Vater bekam ich damals so gut wie nie zu Gesicht, da er meist spät am Abend von der „Arbeit“, in Wirklichkeit von einer Kneipe, heim kam. Doch ich war zu dieser Uhrzeit schon meist im Bett, wodurch mir aber zum Glück die Diskussionen oder auch Streitereien meiner Eltern verborgen blieben.

 

Dann kam dieser eine Tag der mein Leben verändern sollte. Meine Mutter holte mich von der Schule ab, und wir fuhren nicht wie sonst gleich nach Hause, sondern zu einem schönen Plätzchen mitten in der Natur, wo sie mir dann etwas mitteilen wollte. Ich dachte mir als nächstes gar nichts schlimmes, da es ein wirklich zauberhafter und wunderschöner Frühlingstag war.

 

Doch als mir meine Mutter damals mitteilte, dass sie sich, falls Papa so weiter trinkt, scheiden lassen wolle, brach für mich die ganze heile Kinderwelt zusammen. Nicht nur das ich meinen Papa selten zu Gesicht bekommen werde, nun werde ich ihn gar nicht mehr zu Gesicht bekommen falls sich meine Mutter scheiden ließe, dachte ich mir. Nachdem meine Mutter mir dies schonend beigebracht hatte, fuhr sie fort, dass Sie auch Papa schon darüber informiert hatte.

 

Einige Wochen darauf, es war schon mitten in den Sommerferien, fuhr ich mit meiner Hortgruppe, in den Nationalpark „Hohe Tauern“ auf eine wirklich schöne Sommerwoche, welche von Montag bis Freitag dauern sollte. Da ich wusste, das sich meine Eltern nicht mehr verstehen und auch nicht mehr lieben, fuhr ich zunächst ungern mit, da ich mir gar nicht ausmalen wollte, was alles passieren hätte können, wenn ich nicht zuhause bin, wenngleich ich als Kind natürlich nicht wirklich etwas bewegen hätte können.

 

Es war eine wirklich aufregende und interessante Woche mit der Hortgruppe im Nationalpark, wo wir wirklich einiges neues und spannendes erlebten. Vor allem das miteinander auskommen sowie Kochen war eine enorme Herausforderung für uns alle.

 

Wie wenn ich es gespürt hätte, weilte die Freude über dieses wunderbare Erlebnis nicht lange, da am selben Tag, an dem wir wieder zurückgekommen waren, mein Vater das gemeinsame Haus verlassen musste und von dem Grundstück wegewiesen wurde. Diese Geschichte möchte ich jedoch nicht weiter erläutern.

 

An diesem besagten Tag kamen am Abend einige Freunde meiner Mutter vorbei und trösteten sie und halfen ihr wieder auf die Beine.

 

Nach langen und intensiven Gesprächen mit meiner Mutter, kam ich zu dem Entschluss, dass ich auch einmal Alateen Familiengruppen besuchen sollte, um mir anzusehen ob dies wirklich so viel bringt.

 

Natürlich kam ich zu meinem ersten Meeting mit einer gehörigen Portion Skepsis, da ich erstens nicht wusste was mich jetzt genau erwarten würde, und zweitens da ich mir nicht vorstellen konnte, dass das bisschen zusammen „Quatschen“ etwas an meiner Situation helfen könnte.

 

Umso positiver überrascht war ich dann, als ich in mitten von Gleichgesinnten saß, und wir über unsere Probleme sprachen. Das aufregende dabei war, das jeder eine ähnliche Situation hatte, und man sich in einigen Erzählungen selbst wieder fand. Nachdem ich nach meinem ersten Besuch, positiv überrascht darüber war, wie mich diese eineinhalb Stunden in meinem privat Leben beflügelten und ich sehr viel dadurch lernen konnte, beschloss ich, diese Meetings regelmäßig zu besuchen.

 

Dabei merkte ich, dass es mir von Meeting zu Meeting besser ging. Ich erkannte, dass die Streitereien meiner Eltern nicht mir galten, sondern nur Streitereien meiner Eltern waren und mit mir gar nichts zu tun hatten. Ich lernte durch die gemeinsamen Gespräche und Erzählungen der anderen, das man Situationen im Alltag einfacher bewältigen kann, indem man sich diese nicht so sehr zu Herzen nimmt und man vor allem andere Personen in seinem Umfeld nicht ändern kann.

 

Ein sehr schwieriger Prozess bei mir war, dass ich lernen musste, dass ich bei meinen Eltern nicht gleichzeitig sein konnte. Dies hört sich für einen Außenstehenden jetzt wahrscheinlich banal an, jedoch war dieser Prozess für mich am schwierigsten.

 

Mein Vater rief mich zu dieser Zeit sehr oft an und fragte mich ob ich nicht Lust hätte mit Ihm etwas zu unternehmen. Sei es jetzt Eis essen gehen oder in den Tierpark oder dergleichen, und ich tat mir dabei sehr schwer nein zu sagen. Diesen Prozess auch einmal dazu nein zu seinem Vater zu sagen war für mich sehr schwer.

 

Auch bei meiner Mutter tat ich mir sehr schwer, da wir sehr lange Situationen hatten, in denen Sie mich fragte ob es mir „eh nichts ausmache, wenn sie sich mit einer Freundin trifft“ oder dergleichen.

 

Vor allem in diesen Situationen half mir Alateen sehr, dies einzuschränken und mittlerweile ganz abzustellen.

 

Seit diesem Tag an besuche ich regelmäßig einmal im Monat diese Meetings und merke, wie es mir von Mal zu Mal besser geht.

Hallo Freunde!

Ich (verheiratet und mittlerweile vierfach Großmutter geworden) habe eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder, die alkoholkrank sind.

Wir Kinder hatten wohl Eltern, die sich um uns gekümmert haben, jedoch war mein Vater sehr jähzornig. Egal, ob meine Brüder frech waren oder nicht lernen wollten und daher schlechte Noten in der Schule bekamen, erhielten sie Schläge. Letztere standen viele Jahre lang fast an der Tagesordnung. Das hat mich sehr verletzt. Gefühle wie Wut, Scham, Zorn, nicht verstanden werden waren mir vertraut. Ich wurde ein stilles, ängstliches und angepasstes Kind, spürte jedoch in meinem Innersten, dass auch mein Vater unter seinem Jähzorn und dessen Folgen sehr gelitten hat.

Als Heranwachsende gingen meine Brüder oft in ein Gasthaus, das ganz in der Nähe unseres Hauses war. Eines Tages brachten zwei Freunde meinen total betrunkenen Bruder Hans nach Hause. Mein Vater ließ daraufhin zwei Herren vom Blauen Kreuz kommen, die mit meinen Eltern und mit meinem Bruder sprachen. Vater sagte danach „wenn sich Hans die Worte dieser Männer nicht zu Herzen nimmt, wird er mit dem Trinken vielleicht dann erst aufhören, wenn es ihm gesundheitlich schlecht geht“. Damit war das Thema Alkohol in meiner Familie abgeschlossen.

Mit 26 heiratete ich und bekam zwei Kinder. Für alles (Haushalt, Kindererziehung, …) fühlte ich mich verantwortlich. Wenn mein Mann oder die Kinder mit mir sprachen, fiel ich ihnen oft ins Wort, gab ihnen gut gemeinte Ratschläge und wunderte mich, warum die Gespräche so plötzlich endeten.

Der Kontakt zu meinen Geschwistern ging in dieser Zeit sehr zurück. Zwei oder dreimal besuchte ich meinen alleinstehenden Bruder und hatte ein schlechtes Gewissen, weil dies nicht öfter geschah. Vor einem größeren Familientreffen (runder Geburtstag einer meiner Tanten, eines Onkels oder Begräbnis) beunruhigte mich der Gedanke „wie werden sich meine Geschwister verhalten?“. Beide bestellten im Gasthaus reichlich Bier. Meine Schwester wurde bald sehr redselig, mein Bruder dagegen eher schweigsam. Mir war vieles peinlich.

 

Vor 3 ½ Jahren kam ich zu Al-Anon, lernte das Zwölf-Schritte-Programm, Al-Anon Literatur, die Slogans und vor allem Menschen kennen, die mich so nahmen, wie ich bin. Ich entdeckte meine Co-Abhängigkeit, das ist die Sucht, gebraucht zu werden. Die Probleme der anderen waren mir wichtiger als meine eigenen. Ein Satz, den eine Al-Anon Freundin während eines Meetings aussprach, schlug wie ein Blitz bei mir ein: „Ich helfe prinzipiell keinem Menschen, der sich selber helfen kann“. Heute kann ich liebevoll NEIN sagen, wenn ich spüre, dass ich dann gut zu mir bin. Ob meine Geschwister trocken werden dürfen, liegt in der Hand meiner höheren Macht. Vor ca. einem halben Jahr habe ich das Tabuthema Alkohol gebrochen. Meine Schwester gab zu, Alkoholikerin zu sein.

 

Mit einem Ausspruch meiner Mutter über meine Geschwister „sie sind im Grund genommen ja herzensgute Menschen“ möchte ich meinen Bericht abschließen.

 

Gute 24 Stunden. Sabine

Der Alkohol hat sich in unser Leben eingeschlichen, ganz langsam, und er hat Besitz über meinen Vater genommen.

 

Ich wurde 1986 in eine ganz „normale“ Familie hineingeboren. Vater, Mutter, meine jüngere Schwester und ich. Wir hatten eine hübsche Wohnung in der Stadt und alles schien gut.

 

Mein Vater trank gerne in Gesellschaft oder zum Feierabend seine 1-2 Bier vorm Fernseher. Kein Grund zu Sorge würde man meinen. Im Laufe der Jahre veränderte sich aber sein Trinkverhalten und die Dosis an Alkohol nahm zu. Bald gab es keinen alkoholfreien Tag, und wieder einige Zeit später keinen rauschlosen Tag mehr. Dann wurde uns bewusst „Mein Vater ist Alkoholiker“. Bis zur Erkenntnis, dass dies aber eine Krankheit – eine Familienkrankheit – ist, zu dem Schritt brauchte es wieder einige Zeit. Es dauerte viele, viele Jahre bis wir Hilfe fanden.

 

Im Alter von zehn Jahren, machte mich meine Mutter darauf aufmerksam, dass mein Vater Alkohol trank und dann mit dem Auto fuhr. Als Kind wusste ich, dass man das nicht tun sollte, allerdings war das für mich kein Grund meinen Vater als Alkoholiker zu bezeichnen. Alkoholiker das waren für mich die Leute, die auf der Strasse lebten, die dick vermummten Männer mit den BILLA-Sackerl. Das waren für mich Alkoholiker. Aber mein Vater? Der Mann der eine wunderbare Wohnung besaß, einen festen Job hatte und eine gesunde Familie??? Nie im Leben!

 

Zwei Jahre später dachte ich anders. Denn dann bemerkte ich das veränderte Verhalten meinen Vaters. Ich bemerkte die glasigen Augen am Abend, den wackeligen Gang, die mit der Zeit immer stärker werdenden Ringe unter den Augen, das fahle Gesicht, den strengen Geruch.

Dann kam die Scham.

 

„Was sagen die Leute?“ Durch dieses tabuisierte Thema Alkoholismus wurden wir eingeschüchtert. Keine Freunde wurden mehr nach Hause eingeladen, aus Angst sie könnten was merken (im Nachhinein erfuhren wir, dass Keiner jemals etwas bemerkt hatte), in Gesellschaft wurde die perfekte Familie gespielt, draußen wurden Aktivitäten mit dem Vater vermieden, aus Angst irgendwer könnte reden. Ich versteckte mich am Abend, wenn er nach Hause kam. Ich schloss mich ins Bad ein und drehte die Dusche auf, ich legte mich ins Bett und stellte mich schlafend, ich tat so als würde ich telefonieren, nur damit er nicht mit mir sprach. Ich war damals ca. 12 Jahre.

 

Dieses Spiel hielt sich lange. Und ich wurde immer verklemmter und rebellischer zugleich. Daheim wurde fast nur mehr geschrieen, gestritten und geweint. Keiner wusste sich mehr zu helfen. Wir hielten uns selber nicht mehr aus. Ich war wütend auf meinen Vater, gab ihm die Schuld an allem was schief lief. Zu diesem Zeitpunkt hasste ich ihn sogar. Ich wollte ihn wirklich nicht mehr sehen. Jeden Abend, wenn er von seinen Sauftouren noch nicht zuhause war, wenn das Telefon läutete oder ich die Rettung vorbei fahren hörte, dachte ich nur: „Er liegt jetzt sicher irgendwo verletzt im Straßengraben“ und wie oft dachte ich mir: „Bitte fahr doch einfach gegen einen Baum und sei tot, dann ist das alles vorbei“.

 

Kann man sich das vorstellen??? Ein kleines, unschuldiges Mädchen das so über seinen Vater denkt? Aber damals konnte ich einfach nicht anders.

 

Die Aufmerksamkeit die ich zuhause nicht bekam, holte ich mir woanders. Am Wochenende, auf Partys und Festen. Ich trank für mein Alter sehr viel. Heute weiß ich warum. Nur durch den Alkohol wurde ich locker und konnte wieder lachen und Spaß haben. Konnte kurz mal die Situation zuhause vergessen. Aber immer wieder gab es Zusammenbrüche bei denen ich irgendwo saß und heulte. In der Schule ging es bergab. Ich war ständig krank, mit meinen Gedanken war ich ständig zuhause und dachte an meinen Vater wie er heute wieder nachhause kommen würde.

 

Alles was ich in der Schule hörte ging bei einem Ohr rein und beim Anderen wieder raus. Meine Noten wurden schlechter und ich blieb auch sitzen. Und was sagten meine Lehrer: „Sei nicht so faul, tu was!“ Na toll! Keiner war da der mich verstand. Keiner war da der mich mal in den Arm nahm und mir Trost spendete, dabei war das das Einzige was ich brauchte.

 

Ich fing dann an, dass ich meinen engsten Freundinnen von zuhause erzählte (vorher war das Tabu, ein „Familiengeheimnis“). Die hörten mir zwar zu, fanden es schlimm, verstanden mich aber nicht. „Warum lässt sich deine Mutter nicht scheiden? Warum geht ihr nicht einfach?“… ja warum? Ich wusste es nicht. So oft war die Rede von Scheidung, Frauenhaus, etc. … auch Selbstmord war in unseren Gedanken nicht ausgeschlossen. Der erste Gedanke an den Freitod kam mir mit 12.

 

Aber so schnell sollte es mit uns nicht vorbei sein. Jemand hatte noch was anderes mit uns vor.

 

Meine Mutter fand zu Al-Anon, Selbsthilfegruppe für Angehörige und Freunde von Alkoholikern. Ganz begeistert erzählte sie mir immer, was da für Leute sitzen würden und dass die Alle dasselbe erlebt hatten und dass sie sie so gut verstanden. Ich war neugierig und hörte ihr immer zu. Eines Tages fragte sie mich ob ich mal mitkommen wolle. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Gefühle bereits vergessen und ich war leer. Das Leben zog an mir vorbei und ich wäre mit Jedem und überall hin mitgegangen. Ich danke Gott oder sonst irgendwem, dass es meine Mutter war, die mich bei der Hand nahm und mit mir zu Al-Anon ging. Dort hörte ich Sachen und lernte Leute kennen bei denen ich mich sofort wohl fühlte. Ich hörte von einem 12-Schritte-Programm als Unterstützung für unser Leben, Ich hörte die Worte „Genesung“ , „Loslassen“, „Vertrauen“, „Kraft“ und „Hoffnung“ und vor allem lernte ich, dass Alkoholismus eine Familienkrankheit sei und wir alle betroffen sind. Nicht nur der Trinkende. Der Rest der Familie ist Co-Abhängig.

Aaaha!

 

Mir tat diese Gruppe so gut und ich ging immer wieder mit neuer Energie aus dem Meeting, sodass ich diesen einen Abend pro Woche nicht missen wollte. Zum Schutz der Angehörigen wird die Anonymität in den Meetings sehr groß geschrieben. „Wen du hier siehst, was du hier hörst, wenn du gehst bitte lass es hier!“ war das Motto. Ich brauchte mir also wegen Gerede von draußen keine Sorgen zu machen.

 

Nach einer Weile erzählte man mir, es gäbe eine Selbsthilfegruppe für Kinder von Alkoholikern, genannt „Alateen“. Ich ging hin. Es tat mir so gut andere Kinder mit den selben Problemen zu treffen.

 

Seit ich bei Alateen bin, geht es mir gut. Ich habe akzeptieren können, dass mein Vater krank ist und das er nicht aus einer Laune heraus trank. Ich habe gelernt mit einem nassen Alkoholiker unter einem Dach zu leben und trotzdem auf mich zu achten. MEINE Bedürfnisse wahr zu nehmen und nicht MEIN Leben nach dem Leben meines Vaters zu richten. Ich lernte meine Gefühle neu kennen. Ich wusste wieder wann ich traurig und vor allem wann ich glücklich bin. Ich kann wieder ehrlich lachen und weinen. Mein Selbstbewusstsein stieg durch diese Erkenntnis. Ich weiß jetzt was ich will. Ich habe mich in Liebe von dem nassen Leben meines Papas trennen können ohne ihn zu hassen. Ich habe damals akzeptiert, dass er bald sterben würde (so lautete die Diagnose der Ärzte). Aber nur dadurch ist es mir besser gegangen. Ich lernte mich mit meinen Fehlern zu akzeptieren, meine Schwächen aber auch meine Stärken zu erkennen. Mich selber wahrzunehmen.

 

Auch die Anonymen Alkoholiker spielten eine große Rolle. Zu denen ging ich nämlich immer wenn ich kurz davor war die Hoffnung zu verlieren. Dort traf ich wunderbare Menschen, mit derselben Krankheit wie mein Vater, die mir zeigten, dass es auch nach dem tiefsten Tiefpunkt immer noch bergauf gehen kann.

 

Heute kann ich sagen: „Papa ich liebe dich, aber ich hasse deine Krankheit!“ Dieses Gefühl ist toll!

 

Und mein Vater ist jetzt, nach zwei mehrmonatigen Entzügen und einigen psychiatrischen Aufenthalten, seit ein paar Jahren trocken. Und ich bin wahnsinnig stolz auf ihn.

 

Eine glückliche Tochter aus alkoholkranker Familie

Mein Name ist Maria, ich bin eine Angehörige von Alkoholikern!

 

Ich lernte Al-Anon in Australien kennen. Mein Mann Karl, wieder einmal ganz unten (und ich mit ihm) suchte verzweifelt Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern (AA).

 

Ein ganzes Jahr lang ging ich mit ihm in diese Monster-Meetings in Sydney; ein Theatersaal voller Anonymer Alkoholiker/innen. Ich war beeindruckt von deren Ehrlichkeit, wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählten. Bei Brötchen und Kaffee konnte anschließend noch geplaudert werden.

 

Karl konnte so ein Jahr lang ohne Alkohol auskommen und ich mich etwas erholen. Durch Stress in der Arbeit vernachlässigte er jedoch dann seine Meetingsbesuche und begann wieder zu trinken.

 

Karl arbeitete als Sub-Unternehmer und hatte als Helfer zuerst unseren älteren Sohn mit. Dieser kam aber gar nicht zurecht mit seinem trinkenden Vater. Schließlich kamen wir überein, dass er, die vorher in Österreich besuchte HTL fertigmachen sollte und wir schickten ihn 16 ½ jährig, zurück nach Österreich.

 

Nun war unser jüngerer Sohn an der Reihe, den Helfer zu spielen und ich lebte in ständiger Angst, wie die beiden wohl von der Arbeit nach Hause kommen würden, da unser Sohn noch keinen Führerschein hatte, er aber öfters seinen betrunkenen Vater heim chauffierte.

 

Ich war fertig und vertraute mich einem AA an und der meinte: „Ja für dich gibt es ja euch ein Meeting!“ Mein erstes Al-Anon-Meeting – welch eine Erleichterung! Erst jetzt erkannte ich, daß Alkoholismus eine Krankheit ist und das Trinken meines Mannes nichts mit der Liebe zu uns zu tun hatte.

 

Wir waren eine kleine Gruppe von Al-Anons. Ich wurde so lieb aufgenommen. Mein Englisch war miserabel, trotzdem hörten sie mir aufmerksam zu, trösteten mich und sagten: „Komm nur wieder, wirst sehen, bald geht es dir besser!“ Auch hatte ich schnell eine Aufgabe: Die Milch für den Tee mitzubringen! Obwohl es mir finanziell nicht so gut ging, beeilte ich mich mein Scherflein beizutragen. So eine segensreiche Einrichtung musste aufrechterhalten bleiben und hätten nicht die Amerikaner die Australier gesponsert und die Australier ihrerseits neue Gruppen, wer weiß wo ich – ohne Al-Anon – gelandet wäre.

 

Ich brauchte ziemlich lange, bis ich eine Al-Anon wurde, die auch in den Schritten arbeitete. Lange Zeit erzählte ich, was gerade wieder Fürchterliches daheim passiert war. Sie kannten alle meine Geschichte,

  • dass Karl schon einmal alleine in Australien war und ich mit den 2 und 3 Jahre alten Buben nicht mitging, weil ich seine Unverlässlichkeit kannte,
  • dass er, nach 5 Jahren heimgekehrt kurz trank, dann aber eine Abendschule besuchte und fast 3 Jahre ohne Alkohol auskam,
  • dass er dann glaubte wieder normal trinken zu können und in kürzester Zeit wieder alles drunter und drüber ging,
  • dass er wieder nach Australien wollte, mit Familie, und die Kinder dahingehend beeinflusste, bis wir schließlich auswanderten.

Ja, ich hatte mir das alles von der Seele reden können und langsam fing ich an auch meine Fehler zu sehen; dadurch wurde es zuhause ruhiger und friedlicher. Meinem Mann aber ging es gesundheitlich zusehends schlechter und endlich war er bereit wieder Hilfe bei den AA’s zu suchen.

 

Nun hatten wir eine längere Erholpause, Karl in AA, ich in Al-Anon und unser Sohn besuchte Alateen-Meetings. Wir hatten Grill-Partys und verschiedene sportliche Aktivitäten gemeinsam mit unseren AA- und Al-Anon-Freunden. Ich bewunderte Jackie, eine Al-Anon-Freundin, welche einen Witwer mit 6 Kindern geheiratet hatte und dann selber noch ein Baby von ihm bekam, wenn sie zu den Al-Anon-Meetings mit einem Schub Kinder ankam, diese in das Alateen-Zimmer hineinschob und dann 1 ½ Stunden bei uns Kraft und Hoffnung tankte.

 

Karl hatte sich gut erholt, mietete eine Werkstätte, gründete eine Firma, hatte 13 Leute eingestellt und die Stahlkonstruktionsarbeiten an einem Hochhaus übernommen. Eine Zeitlang funktionierte alles ganz gut, doch ab dem 6-ten Stockwerk streikten die Maurer immer wieder. Karl konnte nicht weiterarbeiten, doch auch seine Leute nicht entlassen. Er kam in finanzielle Schwierigkeiten und begann wieder zu trinken. Schließlich konnte ihn nur mehr eine Entwöhnung retten. Er kam in ein Spital der Heilsarmee, welche auf Alkohol-Entwöhnung spezialisiert war und von dort auf eine Farm, auf der es Betreuung, aber auch Arbeit gab.

 

Von der Familienfürsorge wurde ich angerufen ob ich eine Unterstützung benötigte – ich konnte dankend ablehnen, weil ich ja selber zur Arbeit ging. Mein Sohn und ich machten den Fehler und holten Karl nach einmonatigem Aufenthalt auf dieser Farm, für 2 Tage zurück. Dringende Erledigungen in seiner Firma standen an, doch Karl ging nicht mehr zurück auf die Farm und als er sah, dass seine Firma den Bach hinunterschwamm, wollte er zurück nach Österreich.

 

Ich war durch Al-Anon schon fest genug, sagte ich würde nur nachkommen, wenn er eine Wohnung in unserer Heimatstadt gefunden hätte. Wir verkauften einige Privatgegenstände damit er Geld für eine Wohnungsanzahlung hätte. Mein Sohn und ich zogen in einen billigere Wohnung und Karl flog nach Österreich. Karl meldete sich lange Zeit nicht. Er hatte das Geld in Deutschland mit einem Prinzen, welcher in Sachen Umweltschutz unterwegs war, verbraucht. In Österreich hatte er sich auf Schulden eine Garconniere gemietet, gearbeitet, aber nicht mehr zu Trinken aufhören können, bis er sich mit einem Delirium in der Nervenanstalt wiederfand. Davon erfuhr ich erst, als ich nach einem halben Jahr nach Österreich nachkam. Mein Sohn wollte nicht mitkommen – er hatte gerade ein Mädchen kennengelernt.

 

Karl hielt es in Österreich nicht lange aus. Er hatte ein verlockendes Angebot. In der Nähe von München wurde für das Heizwerk einer größeren Wohnhausanlage ein Verantwortlicher gesucht. Wir zogen nach Deutschland. Unser Sohn in Österreich lieh seinem Vater Geld für den Kauf eines Autos. Wir wussten, in München gibt es AA und Al-Anon Selbsthilfegruppen. Wir hatten Glück und fanden Gruppen welche örtlich nicht weit auseinander, an demselben Tag zusammenkamen und so konnten wir jede Woche gemeinsam zu unseren Meetings hin und zurück fahren. Mein Mann war begeistert von den Meetings in Deutschland und ich fand wieder liebe Al-Anon-Freunde mit denen ich teilen konnte: Erfahrung, Kraft und Gott sei Dank auch Hoffnung!

 

Wie gut war es doch, dass die Gruppen versuchten über ihren eigenen Tellerrand hinauszublicken und durch Öffentlichkeitsarbeit und Spenden das Programm auch hier Fuß gefasst hatte. Deutschland war aber, was Leben und Wohnen anbelangte, ein teures Pflaster und obwohl wir nur halbe Miete zu zahlen hatten konnten wir nicht das sparen, was mein Mann sich vorgestellt hatte. Nach einem Jahr gingen wir zurück nach Österreich.

 

Karl fand in unserer Heimatstadt Arbeit. Ein großes Unternehmen suchte Leute für Auslandsarbeiten. Karl kaufte auf Kredit eine Eigentumswohnung. Ich konnte zu Hause wieder in meinem Beruf arbeiten. Ich vermisste meine Meetings. Wenn Karl von seinen Auslandsarbeiten auf Urlaub heimkam konnte er bei uns schon ein AA-Meetings besuchen, für Angehörige aber gab es noch keine Selbsthilfegruppe.

 

Australische Freude rieten mir, doch selbst eine Gruppe zu gründen. Ich schob das hinaus; war noch zu sehr mit neuer Wohnung, neue Arbeit beschäftigt. Als ich mir nach ca. ½ Jahr ein Herz fasste, siehe da, existierte inzwischen eine Gruppe von 3 Leuten und ich war die 4te im Bunde. Jetzt begann ich wieder festen Boden unter meinen Füßen zu gewinnen.

 

Karl war in Nigeria, Algerien, Jordanien und hatte mit Rückfällen zu kämpfen, gab es doch dort keine AA-Meetings. In Amerika hingegen, wo die AA-Gruppen dicht gesät waren, schaffte er es lange Zeit ohne Alkohol. Ich konnte ihn dort, in meinem Urlaub auch einmal besuchen, lernte AA-Freunde kennen, besuchte Al-Anon Meetings in einem Vorort von New Orleans / Louisiana.

 

Es war schön feststellen zu können, dass die Al-Anons auf unserer Welt alle gleich sind, egal in welchem Land sie leben oder welcher Rasse oder Religion sie angehören. Alle bemühen sich nach dem 12 Schritte Programm zu leben und sind willens, das Al-Anon Programm an anderen zukommen zu lassen.

 

Bei Feiern über eine gelungene Fertigstellung eines Projektes in Amerika griff Karl unglückseligerweise zu einem Glas Alkohol. Ein einwöchiger Ausfall seinerseits war die Folge. Er rief mich an, war selber am Boden zerstört weil er wieder trank. Ich rief eine Al-Anon Freundin an, diese verständigte einen AA-Freund und der holte Karl von zuhause ab – und so schaffte Karl es wieder vom Trinken abzulassen. Die Firma in Amerika aber, von ihm enttäuscht, betraute ihn nicht mehr mit weiteren Arbeiten. Von seiner Stammfirma in Österreich übernahm Karl nun Arbeiten in Saudi-Arabien, dieses Mal am Ölsektor. 3 Monate in Saudi-Arabien, 2-3 Wochen wieder zuhause, dort kein Meeting, hier Gott sei Dank eines – Karl schaffte es immer wieder für längere Zeit trocken zu bleiben.

 

Als unser älterer Sohn hier in Österreich Schwierigkeiten durch zu viel Alkoholkonsum bekam, nahm Karl ihn mit zu den AA’s. Er ist nun schon ein langjähriges AA-Mitglied ohne Rückfall.

 

Mein Mann jedoch hatte, nach einem einwöchigen Rückfall in Saudi-Arabien, seinem Körper zu viel zugemutet und er starb im Ausland.

 

Ich hätte meine Erlebnisse nicht so gut verkraftet, wenn ich nicht die Unterstützung meiner Al-Anon Freunde gehabt hätte, die mit ihrer Erfahrung und ihrer Anteilnahme mir Kraft, Mut und Hoffnung gaben. Mit ihnen zusammen lernte ich auf mich zu schauen, im HEUTE zu leben und das schlimme Gestrige und besorgniserregende Morgen wegzuschalten. Gelingt’ s auch nicht immer 100%ig, es gibt Telefonkontakte und ein nächstes Meeting.

 

Mein Sohn in Australien ist von dieser Familienkrankheit auch nicht verschont geblieben. Er kämpft seinen eigenen Kampf, ohne AA, aber mit der Kirche und ist derzeit wieder seit einem Jahr trocken.

 

Auch einer meiner Enkelsöhne hier hat arge Probleme mit Alkohol plus Drogen. Als langjährige Al-Anon bin ich immer wieder bemüht, beide loszulassen, für sie zu beten bzw. Gott zu überlassen.

 

Maria, Al-Anon / Österreich

In meiner Arbeit gibt es einige Alkoholiker. Ich versuchte mich einige Zeit mit dem Alkohol in der Arbeit zu arrangieren, sah weg bzw. trank das eine oder andere Glas mit, um auch dazu zu gehören bzw. um mich von den Anderen angenommen zu fühlen. Meine Arbeitskollegen kamen oft angeheitert in den Dienst, die Kommunikation mit ihnen bzw. Dienstaufteilung war dann besonders schwer. Mich verunsicherte dies jedes Mal extrem, auch die Tatsache, dass ich nie wusste ob während meiner Arbeitszeit eine Flasche Wein auf den Tisch gestellt wird und es wieder einmal feucht fröhlich hergeht.

 

Nach einem Jahr des Schweigens und Hinnehmens bzw. Wegschauens und Mitmachens, wurde ich sehr wütend als ich in die Arbeit kam, alle beisammensaßen, tranken und ein ziemliches Durcheinander herrschte. Ich wollte nicht länger zuschauen bzw. überlegte, ob ich irgendetwas unternehmen könnte. Mir fiel ein, dass es ein Leitbild gibt und dort zu lesen ist, dass Alkohol während der Arbeitszeit nichts verloren hat. Ich reagierte auf die Situation, indem ich zur Vorgesetzten ging, mich auf das Leitbild berief und sie bat sie möge für die Einhaltung des Alkoholverbotes während der Arbeitszeit sorgen. Die Leitung war schockiert und wollte Namen wissen – ich nannte die Namen aber verschwieg nicht, dass ich das Eine oder Andere Glas mitgetrunken habe. Daraufhin gab es einige Sanktionen, die erwähnten Personen wurden zu einen Gespräch einzeln vorgeladen und ihnen mit Rauswurf gedroht, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern würden bzw. ihr Problem aktiv angehen würden, indem sie selbst Hilfe in Anspruch nehmen.

 

Ich selbst wollte anonym bleiben, da ich Angst vor Mobbing hatte. Doch die Alkoholiker in der Arbeit beschuldigten daraufhin jeden, mit dem ich wieder nicht umgehen konnte. Schließlich stand ich dazu und outete mich im Dienstbuch und legte Folder auf. Ich war sehr erstaunt, als diese Seite im Dienstbuch den Tag darauf fehlte bzw. alle Folder weg waren.

 

Zu diesem Zeitpunkt nahm ich bereits selbst Hilfe in Anspruch. Ich informierte mich beim Dachverband für Selbsthilfegruppen und die Auskunft gebende Person gab mir eine Telefonnummer von den Anonymen Alkoholikern bekannt. Ich rief sofort an und bekam jede Menge Rückenstärkung, vor allem aber half mir der Hinweis auf mich selbst zu schauen und die Alkoholiker in meiner Arbeit zu verstehen bzw. sie nicht als meine Feinde anzusehen, nur weil sie ein Alkoholproblem haben. Diese in mir bereits ziemlich festgefahrene negative Einstellung über Alkoholismus aufzugeben fiel mir so gar nicht leicht. Außerdem empfahl mir meine Sponsorin zu Al-Anon zu gehen. Nach vielen Telefonaten ging ich dann endlich hin und war so froh nicht mehr alleine zu sein.

 

In der Arbeit spitzte sich die Situation immer weiter zu, ich war einer offenen Feindseligkeit ausgesetzt, niemand wollte mehr etwas mit mir zu tun haben, auch die „Gesunden“ machten sich rar. Ich übte mich darin alles willkommen zu heißen bzw. mir meine Machtlosigkeit immer wieder aufs Neue einzugestehen – es gelang mir nicht immer. Ich verlor an Gewicht und nahm mir aus heutiger Sicht alles viel zu viel zu Herzen. Eine Arbeitskollegin stellte mich zusammen mit einem Zweiten zur Rede. Sie fragten mich was ich denn gegen sie hätte, warum ich dies getan hätte, sie wollten mich mehr und mehr in eine Diskussion verwickeln. Dank des Gelassenheitsspruches und der positiven Ermutigung meiner AA-Sponsorin konnte ich in Ruhe zuhören und nahm zu ihren Vorwürfen nicht Stellung, sondern sagte nur es hätte jeder das Recht sich über etwas aufzuregen das seiner Meinung nach nicht richtig läuft und sie könnten dies ebenso tun. Später wurde ich von der Leiterin und Gruppenleiterin mit der Kollegin zusammen zu einem Gespräch vorgeladen sie meinten, dass ich eigentlich die Alkoholikerin sei, da ich eine Flasche gekauft hätte und sie in den Schrank gegeben habe. Ich sagte daraufhin, dass ich nie einen Hehl daraus gemacht habe nicht selber auch mitgetrunken zu haben – aber davon wollten meine Vorgesetzten nichts mehr gewusst haben. Die Gruppenleiterin meinte, ihre Eltern haben getrunken und sie möchte mit diesem Thema nicht mehr konfrontiert werden. Ich reagierte nicht auf diese Äußerungen und konnte dank Al-Anon gut bei mir bleiben und übte mich im Zuhören.

 

Ich fühlte mich aber nach wie vor verantwortlich, ließ einige Meetings aus und mein Gefühlsleben und meine Fähigkeit mein Leben zu meistern wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Auf dem Weg zum Meeting übersah ich einen anderen Autofahrer, es kam zur Kollision, dabei wurde ich mit großer Wucht in den Gurt geschleudert. Da wurde mir klar, dass dies eine Warnung meiner höheren Macht war mich nicht ständig in seine Angelegenheiten zu mischen. Ich fing endlich an zu kapitulieren und mein Leben fing an sich in eine positivere Richtung zu ändern.

 

Ich besuche jetzt sehr regelmäßig die Meetings und arbeite in den Schritten. Nach wie vor bin ich in derselben Arbeit, ein Kollege ist daraufhin zu den AA‘s gegangen, ein anderer gegangen worden bzw. einige haben den Arbeitsplatz gewechselt – offensichtlich wurde es ihnen zu unbequem. Durch Al-Anon konnte ich erkennen, dass ich aus einer alkoholkranken Familie komme. Das Programm in allen meinen Lebenslagen anzuwenden macht mir besonders Freude und ich bin immer wieder erstaunt wie hilfreich und wirksam es ist.

 

Al-Anon Gabi

Nachdruck ist, auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Al-Anon Familiengruppen Österreich; Innsbruckerstr. 37 / 2; A-6600 Reutte / Tirol erlaubt. Mit Genehmigung „The Forum“ Al-Anon Family Group Headquarters, Inc. in Virginia Beach, VA..

Weitere Erfahrungsberichte findet ihr unter Broschüren: Links&Downloads.

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